Aufruf zur Demonstration gegen das baden-württembergische Polizei- und Versammlungsgesetz

In Baden-Württemberg will die CDU/FDP-Landesregierung zum 1. Januar 2009 ein neues Versammlungsgesetz einführen. Mit Blick auf anstehende Proteste sollen zusätzlich zum Polizeigesetz noch weitere versammlungsfeindliche Maßnahmen möglich sein. Den Repressionsorganen werden immer mehr Möglichkeiten zur Verhinderung unerwünschter Versammlungen gegeben. Im Rahmen eines europaweiten Rechtsrucks wird die Grundlage zur repressiven Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen der Herrschenden ausgebaut werden. Die außerparlamentarische Opposition wird mehr denn je überwacht und kontrolliert, möglicher Druck von der Straße soll im Keim erstickt werden können...

big brother is watching you

Ein Leben in totaler Sicherheit

Im beschaulichen Freiburg, im Herzen der Zivilisation der Wohlhabenden, ist Repression gegen „Randgruppen“ im Namen der „Sicherheit“ fest verankert und gesellschaftlich akzeptiert. Während wie überall in der EU üblich ImmigrantInnen in Baracken am Stadtrand ghettoisiert werden, bekommen Obdachlose knastähnliche Zeitunterkünfte gegen Auflagen. Von „hier leben“ keine Spur. Die Innenstadt wird als Konsumtempel gepflegt, Unerwünschte werden verbannt. Ringsum wird weiterhin billiger Wohnraum abgerissen, um Platz für Banken, Versicherungen und Luxusökohäuser zu schaffen. Im Rahmen der „Aufwertungsprozesse“ der so genannten „Green City“ bleibt kein Platz für Andersdenkende übrig. Auch der Platz der alten Synagoge soll zur Betonwüste „aufgewertet“ werden und diverse Gesetze und Verordnungen richten sich explizit gegen „Randgruppen“ im öffentlichen Raum. So werden diese beschuldigt, den öffentlichen Raum „über den Allgemeinbedarf hinaus“ zu nutzen und sie werden mit Platz- oder Stadtverweisen beziehungsweise Bußgeldern überzogen.

Diesen ohnehin untragbaren Entwicklungen wird kaum mit Widerstand begegnet, im Gegenteil. Eine schleichende Durchsetzung der Überwachungsgesellschaft macht sich breit. So können neue repressive Gesetze und Verordnungen problemlos durchgesetzt werden. „Das Fremde“ als Feindbild erfährt neuen Aufschwung, mit voranschreitender Überwachung wird Sicherheit vorgetäuscht.

Bleiben Sie anständig, sonst werden Sie randständig

Seit Jahren wird auch in Freiburg an einer flächendeckenden Videoüberwachung zur „Kriminalitätsprävention“ gearbeitet. Federführend ist die Freiburger Verkehrs AG. Seit April 2008 läuft das „Experiment“ zehn neue Straßenbahnen mit jeweils sieben Kameras auszustatten. Diese Daten werden auf Nachfrage an die Polizei weitergegeben. Ziel dieser Überwachung ist laut eines VAG-Pressesprechers hauptsächlich die Kriminalisierung von SchülerInnen. Derweil wurden die schwenkbaren Kameras der VAG in der Innenstadt Freiburgs durch Rundumkameras ersetzt, welche in alle Richtungen filmen können.

Das in Sachen Überwachung und Kontrolle als Vorreiter geltende England geht mittlerweile mit einem „Hoodie-Verbot“ gegen KapuzenträgerInnen vor. An bestimmten Orten müssen sich Menschen nun also sogar schon den Kameras zwangsweise präsentieren. Neuerdings kann in England die Weigerung, den Behörden die eigenen Passwörter herauszugeben, mit bis zu zwei Jahren Knast bestraft werden. Solche Maßnahmen stehen wohl auch den EinwohnerInnen der anderen EU-Staaten bevor.

No way to hide

Neben der Ausdehnung der Videoüberwachung auf lokaler Ebene werden seit diesem Jahr auch sämtliche Verbindungsdaten, die bei Telekommunikation anfallen, systematisch gespeichert und miteinander vernetzt - und das europaweit. Am Freitag, den 9. November 2007, stimmte der Bundestag dem Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung zu. Durch die Abstimmung ist die 24. EU-Richtlinie in Kraft getreten, die eine „Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“ vorsieht. Am 26. Dezember 2007 unterschrieb Bundespräsident Horst Köhler trotz anhaltender Proteste das umstrittene Gesetz zur Überwachung der Telekommunikation. Damit war die Vorraussetzung für die Vorratsdatenspeicherung gegeben, die ab dem 1. Januar 2008 in Deutschland Realität ist. Seither werden die Verbindungsdaten von Festnetz-, Handy- und Internetkommunikation mindestens sechs Monate lang „präventiv“ gespeichert.

Die Vorratsdatenspeicherung ist nur die Legalisierung der seit Jahren gängigen Praxis der Repressionsbehörden, Daten zu erheben und gegen uns zu verwenden. So werden Mobiltelefone sowohl zum Orten von Personen als auch zum Abhören von Gesprächen benutzt. Die bisherige Praxis der so genannten Onlinedurchsuchung wird mit dem am 12. November beschlossenen BKA-Gesetz auf eine rechtliche Basis gestellt. Sie macht Durchsuchungen privater Rechner per Gerichtsbeschluss möglich, ohne diese zu beschlagnahmen. Durchgeführt wird das Verfahren bereits zumindest in Bayern jedoch ohne legalen Rahmen, wie im Januar 2008 bekannt wurde.

Ebenfalls Anfang 2008 wurde für jedeN BundesbürgerIn eine neue, lebenslang und bundesweit gültige Steuer-Identifikationsnummer eingeführt. Diese „Steuernummer“ ermöglicht die Zusammenfassung persönlicher Daten in elektronischer Form und ist eine Voraussetzung für eine zentrale Überwachungsdatei.

war is peace

Ein neues Polizeigesetz für unsere Freiheit

Das am 6. November 2008 vom Landtag beschlossene Polizeigesetz stattet die Exekutive in Baden-Württemberg mit zusätzlichen Befugnissen aus. Als Vorwand dient die Terrorismusbekämpfung, die mit zusätzlichen Überwachungsmaßnahmen erfolgen soll. Für Innenminister Heribert Rech ist die Novellierung „ein moderates und ausgewogenes Gesetz“, welches „die Balance zwischen den Rechten der Bürger und den Bedürfnissen der Polizei“ hält.

Nach dem neuen Gesetz soll die GPS-Ortung erlaubt, der Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme, sprich eine KFZ-Kennzeichenüberwachung, legalisiert und die Ausweitung der Videoüberwachung und Nutzung der Daten durch die Polizei durchgesetzt werden. Darüber hinaus wird die Speicherung von Kommunikationsdaten ausgedehnt und an die EU-weiten Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung angepasst. Mit dem neuen Polizeigesetz darf die Polizei zukünftig auch die bisher dem Verfassungsschutz vorbehaltenen IMSI-Catcher einsetzen. IMSI-Catcher täuschen eine Funkzelle vor, in welche sich alle Handys in der Umgebung einloggen und registriert werden. Dadurch kann der Standort einer bereits bekannten Nummer festgestellt und bislang nicht bekannte Nummern ermittelt werden.

Ausbau & Zusammenarbeit der Repressionsbehörden

Der Gesetzentwurf sieht für Video- und KFZ-Kennzeichenüberwachung vor, dass PolizistInnen sowohl hinter den Bildschirmen anwesend, als auch vor Ort operativ tätig sein müssen. In praktischer Hinsicht wegen Personalmangels kritisiert, erzwingt die Verordnung die Aufstockung des Polizeiapparates. Das nach 1945 eingeführte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten wird weiter aufgeweicht. Verfassungsschutz und Polizei werden in Zukunft so genannte „Prüffalldateien“ gemeinsam anlegen.

Längst übliche Praktiken des Verfassungsschutzes werden auch für die Polizei legalisiert. JedeR kann in Zukunft zur Kollaboration mit den Ermittlungsbehörden gezwungen werden. Weigern sich potentielle ZeugInnen am Ort des Geschehens, den BeamtInnen Auskunft zum Sachverhalt zu geben (im Klartext: Menschen zu verraten), kann ein „Zwangsgeld“ durch die PolizeibeamtInnen verhängt werden. Somit wird das Aussageverweigerungsrecht gegenüber der Polizei von der Exekutiven aufgehoben und Schweigen unter Strafe gestellt.

Der Präventivstaat — Ein Leben auf Bewährung

Ziel des neuen Polizeigesetzes ist die Verhinderung von Straftaten im Vorfeld. Nahezu alle Erweiterungen dienen dem Zweck, Menschen als potenziell kriminell zu erfassen und zu beobachten. So wird im Rahmen der Verordnung zum „Prüffall“ eine Datei angelegt, sobald eine Person juristisch auffällig geworden ist. In dieser Datei werden zwei Jahre lang alle Daten, derer die Behörden habhaft werden können, eingetragen. Das bedeutet zum Beispiel: Gegen Person X ist vor anderthalb Jahren wegen Hausfriedensbruch ermittelt worden. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, doch die Datei wird trotzdem angelegt. Drei Monate später hat die Person einen Infostand angemeldet, noch einen Monat später 50 Euro Strafe wegen Ladendiebstahl, heute Verdacht auf Landfriedensbruch — entscheiden Sie, Herr Richter!

Auch der baden-württembergische Landesbeauftragte für Datenschutz Peter Zimmermann meint: „Der Gesetzentwurf begründet (...) die Änderungen mit der Notwendigkeit einer wirksamen Terrorismusbekämpfung. Der Inhalt des Gesetzentwurfs geht jedoch in eine gänzlich andere Richtung: Es geht vorwiegend um eine allgemeine Verschärfung der Überwachungsregeln für alltägliche Lebensabläufe, die mit der Terrorismusbekämpfung allenfalls am Rande etwas zu tun haben, dafür aber die Persönlichkeitsrechte vieler unbescholtener Bürger massiv tangieren.“ Und Zimmermann meint auch: „Sie haben nichts zu verbergen? Sie armes Schwein.“

Die Aufstockung des Polizeiapparates und seiner Befugnisse ist ein klares Zeichen. Regelmäßige Großeinsätze gegen „StörerInnen“ sind nicht genug, die Polizei meint noch mehr Leute und mehr Handlungsspielraum zu brauchen. Bundesinnenminister Schäuble fordert, dass nicht nur grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit ausgebaut, sondern sogar „die Truppen, für neu zu definierende Sonderfälle, als Hilfskraft der Polizei im Inneren“ eingesetzt werden sollen. In dieser Politik folgt Deutschland einem EU-weiten Trend. Spätestens seit dem Einsatz der Bundeswehr gegen DemonstrantInnen während des G8-Gipfels in Heiligendamm ist die Verwischung der Zuständigkeitsbereiche offensichtlich. Nun soll der legale Rahmen im Nachhinein geschaffen werden.

freedom is slavery

Die Freiheit nehm’ ich mir?

Die Landesregierung Baden-Württembergs hat ein neues Versammlungsgesetz entworfen, das zum 1. Januar 2009 in Kraft treten soll. Damit folgt sie dem Freistaat Bayern. Mit dem Gesetz können unerwünschte Versammlungen noch leichter kriminalisiert werden. Als ob das repressive Vorgehen gegen AnmelderInnen, schikanöse Auflagen und massive Polizeiaufmärsche nicht ausreichten. Nun will das Land vor dem NATO-Gipfel in Strasbourg und Baden Anfang April 2009 noch mehr Repression gegen unerwünschte Versammlungen ausüben können.

Worin besteht unsere Versammlungsfreiheit? Um legal zu demonstrieren, müssen wir uns frühzeitig bei den Behörden melden, Kooperationsgespräche mit der Polizei führen und die Route abstimmen, die dann doch wieder gekippt wird. Routen fernab der Öffentlichkeit, „polizeiliche Einschließungen“, massenhafte Videoüberwachung - schon heute werden Demonstrationen gegängelt und kriminalisiert. Keine Vermummung gegen Kameras, kein Schutz vor Knüppel und Gas, keine Musik für die gute Laune - schon heute werden Demonstrationen angegriffen und unterdrückt. Mancherorts sollen wir sogar schon Demogebühren zahlen, um überhaupt auf die Straße zu dürfen.

Das neue Versammlungsgesetz sieht vor, die Anmeldefrist von 48 auf 72 Stunden zu erhöhen, um spontane Demos zu verhindern. Desweiteren sollen Versammlungen, die „Gewaltbereitschaft“ vermitteln, durch das so genannte „Militanzverbot“ sofort polizeilich aufgelöst und die Demonstrierenden mit Repression überzogen werden können. Das Verbot einheitlicher Kleidung, auch als „Black-Block-Verbot“ bekannt, richtet sich explizit gegen linksradikale Demonstrationen.

Mit dem neuen Gesetz soll auch die individuelle Repression gegen AnmelderInnen noch verstärkt und auf OrdnerInnen ausgedehnt werden. Bei jedem Aufruf zu einer Versammlung muss zukünftig der Name der anmeldenden Person genannt werden und schon bald kann ein Aufruf zu Protest und Widerstand wegen Verstoßes gegen das „Störungsverbot“ mit Knast bestraft werden. Während der Demonstration sollen nun auch noch die Verantwortlichen „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Police State? No Way!

Wir haben es satt, unser Recht auf freie Meinungsäußerung bei jeder Demonstration aufs Neue erkämpfen zu müssen. Wir wehren uns gegen dieses Gesetz, dass uns Spaltung und Verrat aufzwingen will. Niemand soll auf unsern Gräbern lesen: „Immer ruhig und ordentlich gewesen.“

fight back

Für unkontrollierte Versammlungen!

Die Entwicklungen in Sachen Datenschutz und den Abbau von Freiheitsrechten sehen wir als europaweiten Trend, der den FeindInnen der Freiheit den Weg ebnet. Ein autoritäres System hat immer die Verhinderung eines radikalen Systemwandels zum Ziel. Das neue Versammlungsgesetz ist für uns nur ein Anlass auf die Straße zu gehen. Am 13. Dezember 2008 rufen wir zu einer unangemeldeten Demonstration gegen den sich in Deutschland zunehmend etablierenden Polizeistaat auf.

Dass der Tod uns lebendig findet
Und das Leben uns nicht tot

Autonomes Zentrum KTS Freiburg
November 2008
UnterstützerInnen-Liste

Samstag, 13. Dezember 2008, Freiburg:

  • 14 Uhr, Demonstration, Rathausplatz
  • 18 Uhr, Straßenfest, Belfortstraße im Grün
  • 21 Uhr, Festival in der KTS, Baslerstraße 103