Rudolf Hess wird von den heutigen Nazis zum "Friedensflieger" umgelogen, weil er im Mai 1941 nach Schottland flog, vermutlich um dort einen Separatfrieden mit Großbritannien abzuschließen. Der Hintergedanke dieses Unternehmens war, angesichts des bevorstehenden Angriffs auf die Sowjetunion einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Durch die Bezugnahme auf den Mythos Hess wird der gesamte Nationalsozialismus verherrlicht: Nazi-Deutschland habe eigentlich den Frieden gewollt, ihm sei jedoch von den "verbrecherischen Alliierten" der Krieg aufgezwungen worden. Die Verbrechen des NS werden damit insgesamt geleugnet, das Hitlerregime als Opfer einer internationalen Verschwörung dargestellt.
Gegen das Nazi-Heldengedenken!
Die Geschichte der Hessmärsche in Wunsiedel beginnt bereits kurz nach dessen Selbstmord 1987 im alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau. In den Jahren 1988-200 hatte der jährliche Aufmarsch zum Todestag von Hess neben der Verherrlichung des NS auch das Ziel, die Durchführung legaler Nazi-Aufmärsche in der BRD zu etablieren. Schon 1991 führte der Druck aktiver AntifaschistInnen zu einem Verbot des Marsches in Wunsiedel. In den Folgejahren, nach den Brandanschlägen und Pogromen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und anderen deutschen Städten, wurde der Druck auf die BRD so groß, dass die Hess-AnhängerInnen nur noch im benachbarten Ausland zu Kleinstaufmärschen mobilisieren konnten, z.B. in Luxemburg, Dänemark und Schweden.
Dies änderte sich infolge der vom Hamburger Neonazi Christian Worch 1997 gestarteten Aufmarschkampagne. Indem er nahezu jedes Wochenende irgendwo in der BRD einen Naziaufmarsch veranstaltete, gelang es ihm, einen Normalisierungseffekt zu erzielen. Besonders zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die Worch die Durchführung von Demonstrationen ermöglichten, gaben den Nazis nun die Möglichkeit, Aufmärsche durchzuführen wie und wo sie wollten. Jürgen Rieger ergriff die Gelegenheit und meldete 2001 den Hess-Gedenkmarsch gleich für zehn Jahre in Wunsiedel an.
Nunmehr ist es den Nazis gelungen, eine legale Grundlage für die offene Huldigung des NS zu schaffen. Der Hessmarsch gewinnt an Bedeutung für das Anwachsen einer generations- und parteiübergreifenden Nazibewegung. Nazis unterschiedlichsten Alters, aus verschiedener sozialer Herkunft und mit teils gegensätzlichen politischen Werdegängen und kulturellen Hintergründen finden in ihrer NS-Verherrlichung zusammen. Bei den Treffen mit Volksfestcharakter nähern sich in Wunsiedel SS-Greise, Naziskins, HJ- und BDM-VerehrerInnen in Braunhemd und Dirndl, gepiercte Hatecore-Fans, Revanchisten und Parteifunktionäre an. Damit erhält der Hess-Marsch für das Selbstverständnis der Nazibewegung eine enorme Bedeutung.
Eine besondere Bedeutung erhält der Hess-Gedenkmarsch auch durch die internationale Beteiligung. In den letzten Jahren beteiligten sich u.a. Neonazis aus Dänemark, Schweden, Norwegen, England, Belgien, Frankreich, Holland, Spanien, Italien, Österreich, der Schweiz, Ungarn, Tschechien, Kroatien, der Slowakei, Russland und den USA.
Seit dem Jahr 2003 ist auch die NPD offiziell dabei. 2004 gingen an der Demospitze neben dem Anmelder Jürgen Rieger der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt und Holger Apfel, mittlerweile NPD-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag, womit die Parteispitze deutlich repräsentiert war. Auch drei bundesweit führende Kader der "Freien Nationalisten", Thomas Wulff, Thorsten Heise und Ralph Tegethoff, die sich erst im Oktober 2004 als NPD-Neuzugänge präsentiert hatten, traten in hervorgehobener Position auf.
Die Teilnahme der NPD am Aufmarsch symbolisiert die gestiegene gesellschaftliche Bedeutung politischer Kräfte, die sich offen positiv auf den NS beziehen und damit politischen Einfluss gewinnen. Die Wahlerfolge bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen im September letzten Jahres boten den Rechtsradikalen zahlreiche neue Möglichkeiten. Insbesondere der Einzug der NPD in den sächsischen Landtag mit einem Ergebnis von über 9,2% sichern eine enorme Medienpräsenz und ermöglichen eine wahrnehmbare Beeinflussung öffentlicher Debatten.
Die Verantwortung gegenüber den Opfern des Faschismus mahnt uns zum Widerstand gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus. Wir tragen individuelle Verantwortung dafür, dass FaschistInnen in Deutschland nie wieder Macht und Einfluss haben können.
Wir wissen, dass wir rechtsradikale Propaganda nur stoppen können, wenn wir eine die gesamte Gesellschaft durchdringende, offene Auseinandersetzung über die zugrundeliegenden Werte und Ideologien führen. Wir wissen aber auch, dass wir uns erfolgreich den Nazis entgegenstellen können, wenn wir dies gemeinsam tun. Machen wir den Hess-Todestag zu einem Tag, der der antifaschistischen Bewegung und dem Kampf gegen den Faschismus gehört! Stoppen wir die NS-Verherrlichung!
Antifaschistischer Aktionstag
mit Kundgebung und Demonstration, Kulturprogramm und _ Redebeiträgen von WiderstandskämpferInnen am
20.August 2005
9-19 Uhr in Wunsiedel
Weitere Infos: www.ns-verherrlichung-stoppen.tk