Über einige Grundlagen und Irrwege der Islamkritik
1966 schrieb die Situationistische Internationale an die revolutionären Bewegungen aller Länder, daß sie nicht nur mit dem „Vorwand Palästina“, sondern auch „mit dem Islam Schluß machen müssen, einer offenkundig konterrevolutionären Kraft wie alle religiösen Ideologien“. Daraus ist nichts geworden, 40 Jahre später ist nicht nur der „Vorwand Palästina“ als Hass auf das für alle Übel der Welt verantwortlich gemachte Israel weltweit verbreitet wie nie, auch die islamische Konterrevolution ist in Form von Suicide Bombing, Hasspropaganda und Tugendterror und auf dem Vormarsch. Von einer radikalen Kritik dieser Entwicklung ist dagegen kaum etwas übrig geblieben. Stattdessen findet ein Kampfbegriff wie „Islamophobie“ immer weitere Verbreitung, der Islamkritik in die Nähe von Rassismus rückt oder gar „Antiislamismus“ als den „neuen Antisemitismus“ sieht. Aber durchaus vorhandenen reaktionären Tendenzen der Islamkritik kann nicht durch die haltlose These eines „eigentlich“ friedlichen und toleranten Islams begegnet werden. Sinnvoller und für eine kritische Analyse wichtig ist es dagegen, den weit verbreiteten „orientalistischen“ Trugschluß zu vermeiden, Muslime oder „islamische“ Gesellschaften seien vor allem religiös geprägt und so etwa durch Koranlektüre zu verstehen. Dies entspricht der Tendenz, sich in „postideologischer“ Zeit immer mehr von kritischer und universalistischer Gesellschaftsanalyse zu verabschieden und statt dessen alles auf „Kultur“ zurückzuführen. So dient der „Islam“ nun als ausreichende Erklärung für alles, von den Zuständen im Nahen Osten bis zum „Integrationsunwillen“ der MigrantInnen. Letzterer kam in dieser Perspektive etwa in der „Vorstadt-Intifada“ in Paris zum Ausdruck, die als Ausblick auf das kommende „Eurabien“ gedeutet wird, die Vorherrschaft des Islams in einem Europa, das untergehen und aussterben wird - falls es nicht bald seine Kultur“ wiederentdeckt, zu der neben dem Patriarchat vor allem die Religion gehört. In diesem von verschiedensten Seiten bedienten Kulturkampf-Spektakel gibt es nichts zu gewinnen, aber jede Menge an Kritikfähigkeit zu verlieren. Schon weiter führt da ein Begriff wie „Islamfaschismus“, bezeichnet er doch eine besondere Form eines globalen und modernen Phänomens, nicht den archaischen Ausdruck einer fremden und fernen Kultur. Dabei erweist sich der Islamismus bei näherer Betrachtung als ebenso „links“ wie „rechts“, lassen sich doch so ziemlich alle linken Irrwege erkennen, von der leninistischen „Avantgarde“ bis zur anarchistischen „Propaganda der Tat“, vom völkischen Antiimperialismus bis zur „antikapitalistischen“ Zinskritik. Mag die Avantgarde der globalen Konterrevolution auch im islamischen Gewand daherkommen, so muß ihre Kritik auch ebenso den „Westen“ und seine linken Feinde umfassen.
Vortrag (und ein wenig Multimedia!) mit anschließender Diskussion. Es spricht Jonny Weckerle, der in diversen linken Zusammenhängen in Freiburger aktiv ist und zum Thema studiert hat.