Man trägt wieder schwarz-rot-gold, hierzulande: in den Fenstern, am Auto, überm Herzen und im Suff. Alle jubeln, daß man sich nun endlich zum Vaterland bekennen dürfe, auch wenn unklar bleibt, wann das je verboten gewesen wäre; und das Ganze nennt sich hochtrabend »Patriotismus-Debatte«, obwohl zu einer Debatte üblicherweise wenigstens zwei Meinungen gehören. In Sachen Fußball aber sprechen, besser: gröhlen alle mit einer Stimme, ob Proll oder WerbemanagerIn, ob beim Fanfest, vorm Fernseher oder in der linken Szenekneipe, und feiern gemeinsam ihren Chef-Animateur Jürgen Klinsmann, den »Sepp Herberger der Spaßgesellschaft«. Deutschland ist wieder wer, Weltmeister in Sachen guter Laune nämlich, und braucht daher ewiggestrige Miesmacher und »Bedenkenträger« (Kicker) nicht mehr zu ertragen.
„Ohne Auschwitz fahrn wir nach Berlin“ war das geheime Motto der WM, und alle durften mitfahren, die schwarzen Nationalstürmer wie die fahnenschwenkend integrierten MigrantInnen. Doch wie „normal“ können ein Land und sein Nationalismus sein, wenn die eigene Harmlosigkeit und Normalität ständig und mit durchaus gereiztem Unterton betont werden müssen? Von linksradikaler Seite konnte dem Wahn jedenfalls außer hilflosem Fahnenabbrechen nicht viel entgegengesetzt werden. Man hat sich gegenseitig das Angeekeltsein bestätigt und ansonsten zur Kenntnis nehmen müssen, daß der lange Zeit selbstverständliche Antinationalismus in linken oder sonstwie „alternativen“ Kreisen offenbar substanzlos war. In der Freiburger Innenstadt waren „Deutschpunks“ zu sehen, und das notwendig gewordene Deutschlandfahnenverbot in der KTS rief jede Menge Unmut und Unverständnis hervor. Die doch eigentlich grundlegende Ablehnung von Nation im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen wurde Gegenstand endloser, immergleicher und oft desillusionierender Diskussionen auch innerhalb der „Szene“. Über Ursachen, Charakter und Gefährlichkeit des aktuellen Hypes um die Nation gehen die Meinungen auch bei denen weit auseinander, die zumindest wissen, daß sie dagegen sind. Grund genug also, sich genau diesen Fragen zu widmen.
Analysiert werden soll darüberhinaus, warum gerade Fußball zum Katalysator der neuen nationalen Erweckungsbewegung taugt. In einem Abriss zum deutschen Sonderweg zur Weltmeisterschaft wird es daher u.a. um die Geschichte des Deutschen Fußballbundes gehen, der immer etwas rechts von der Realität stand, und die von ihm transportierten völkischen Reinheitsvorstellungen; um das Phantasma der deutschen Tugenden von Fleiß, Kampfgeist und Siegeswillen und die damit verbundenen Ressentiments gegen "brotlose Künstler" und "satte Millionäre", gegen Geist und Geld; um fest verwurzelten Sexismus und Homophobie, mit dem sogar erfolgreiche Fußballerinnen und wachsende Anhängerinnenzahlen ertragen werden, solange man es gemeinsam den effeminisierten Tottis und Beckhams anderer Länder zeigt. Kurz: es soll dargelegt werden, warum die Parole "Nie wieder Deutschland!" auch und gerade dann aktuell ist, wenn sie niemand mehr hören und verstehen will, und weshalb Fußball doch zumindest um einiges schöner sein könnte, wenn die Deutschen nicht ständig alles kaputt machen würden.
Es spricht Lars Quadfasel aus Hamburg. Er ist derzeit in der Hamburger Studienbibliothek (www.studienbibliothek.org) und der Gruppe Les Madeleines (www.lesmadeleines.net) assoziiert und hat u.a. in Konkret, Jungle World und Phase 2 zahlreiche Texte veröffentlicht.