Eine Veranstaltung mit Bernard Schmid (Paris), organisiert von Radio Dreyeckland, der iz3w (informationszentrum 3.welt) und der Buchhandlung „jos fritz bücher“
Vortrag von Bernard Schmid
Autos brennen, Suchscheinwerfer aus Hubschraubern suchen Hochhauswände ab, massive Polizeikräfte werden zusammengezogen, Steine fliegen... Spektakuläre Bilder aus Frankreich flimmerten im Oktober und November vorigen Jahres auch in anderen Ländern über die Bildschirme. Die damaligen Riots gehören mittlerweile der Geschichte an. Und dennoch gehen die Zustände weiter, die zu ihnen geführt haben. Selbst die konservative Regierung, die im November 2005 so tat, als handele es sich um ein reines Sicherheitsproblem, dem mit polizeilichen Mitteln beizukommen sei, kommt um die Feststellung nicht umhin, dass diesen Unruhen massive soziale Probleme und Ungerechtigkeit zugrunde lagen. Deshalb ließ sie im März 06 auch ein «Gesetz zur Chancengleichheit» verabschieden, das einen Mix aus Antidiskriminierungs-, repressiven und wirtschaftsliberalen Maßnahmen darstellt und angeblich «die Antwort » auf die hinter den Unruhen stehenden Probleme bringt. Viele dieser Bestimmungen werden die sozialen Probleme voraussichtlich nur verschärfen. Etwa die Demontage des Kündigungsschutzes für Jugendliche und junge Erwachsene, die angeblich den benachteiligten Jugendlichen zu Arbeit verhelfen sollen. Dagegen flammten im Februar und März 06 massive Proteste auf. Doch die Regierung musste immerhin in ihrer Begründung zu dem Gesetzespaket die Realität der flagranten rassistischen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zugeben. Und behauptete, mit ihren Maßnahmen werde sie dieses Problem angeblich lösen. Koloniale Muster? In der Veranstaltung werden die Mechanismen untersucht, die den staatlichen Umgang mit den riots prägten. Während die Unruhen noch anhielten, war der repressive Aspekt im Regierungshandeln vorherrschend. Bemerkenswert ist dabei vor allem der Rückgriff auf Notstandsmaßnahmen und Sondergesetze, die Frankreich zuletzt dort erprobte und anwandte, wo es als Kolonialstaat herrscht(e). Die im November 2005 für die Dauer von drei Monaten in Kraft gesetzte Notstandsgesetzgebung war im April 1955 verabschiedet worden. Sie diente damals als Ermächtigungsgrundlage für den Versuch, im Kolonialkrieg in Algerien die französische Herrschaft aufrecht zu erhalten. Auf dem Hintergrund dieser Notstandsgesetze verübte die französische Staatsmacht auch das Polizeimassaker an 200 bis 300 algerischen Demonstranten mitten in Paris, das am 17. Oktober 1961 stattfand. Die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde hatte im November die geniale Idee, ein Foto von jenem 17. Oktober 1961 neben dem Text der Notstandsgesetzgebung - die am selben Tag in Kraft trat - zu veröffentlichen. Natürlich hat der französische Staat im vergangenen Herbst nicht alle Register gezogen, die ihm die Sondergesetze zur Verfügung stellten. In vielfacher Hinsicht blieb es bei Symbolpolitik, oder aber der Erprobung autoritärer Mechanismen der Krisenverwaltung «für härtere Zeiten». In Evreux in der Normandie etwa wurde ein ganzes Stadtviertel eine Woche lang allnächtlich als «Unruheherd» unter Quarantäne gestellt und durch starke Polizeikräfte abgeriegelt: Nur bei Vorliegen eines «Notfalls» konnte man den «Problemstadtteil» nach 22 Uhr betreten oder verlassen. Vor diesem Hintergrund wird Bernard Schmid in der Veranstaltung folgenden Fragen nachgehen: Inwiefern weist das Vorgehen des französischen Staates Parallelen zu Herrschaftstechniken aus der Kolonialära auf? Herrscht eine rassistische Komponente in seinem Umgang mit den «Problembevölkerungen » vor, oder handelt es sich eher um einen sozioökonomisch zu erklärenden Ausdruck von Klassenverhältnissen? Welche ideologische Begleitmusik wurde dazu angestimmt? Handelt es sich um einen einmaligen Vorgang - oder aber um einen eventuellen Ausblick auf eine unangenehme Zukunft?