Die Debatten um die ,,Linkspartei" und die ,,kritisch-solidarische" Unterstützung, die diese auch aus linksradikalen Kreisen erhält, überraschen nicht wirklich: RadikaldemokratInnen, SozialistInnen und KommunistInnen benutzen das Parlament als zusätzliche Tribüne für ihre revolutionäre Propaganda, sie führen den Massen die Farce der bürgerlichen Demokratie vor Augen, zweigen öffentliche Mittel, die sie für ihre parlamentarische Arbeit erhalten, für revolutionäre Zwecke ab. Sie helfen, reaktionäre Gesetze zu verhindern und sichern die Errungenschaften des Sozialstaates. Sie bringen die Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen aufs Tablett und verschaffen ihnen eine breite Öffentlichkeit. Umgekehrt versichern sich die Massen, indem sie ihre Stimmen der gerade aktuellen Linkspartei geben, ihrer Stärke: Die Anzahl der abgegebenen Stimmen ist ein Gradmesser der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins der Massen... so sieht seit mindestens 120 Jahren das Parlamentarismus-Ideal der Linken aus. Über die Jahrzehnte hinweg wird es in schier unzähligen Varianten von LassalleanerInnen, MarxistInnen, ParteikommunistInnen, Anarcholibertären, EntristInnen, Basisbewegten, Stamokap’lerInnen und anderen SozialdemokratInnen angehimmelt.
Nur: Warum ist die Rechnung nie aufgegangen? Warum endete noch jede Parlamentarismusbegeisterung in der Ödnis der Realpolitik und erwies sich der Linksruck zuverlässig als Rechtsruck? Liegt es an der Schwäche ,,der Bewegung"? Am Verrat ,,der Bürokratie"? An der auf Dauer unvermeidlichen Regierungsbeteiligung? Oder ist das Ideal bereits ein Fehler, der auf einer falschen Praxis fußt? Müssen wir es stattdessen mit den autonomen ArbeiterInnenorganisationen, etwa den amerikanischen Wobblies und ihrem konsequenten Desinteresse an Staat und Politik halten?
Eine Vergegenwärtigung der anarchistischen und rätekommunistischen Staatskritik, wie sie von Leuten wie Otto Rühle oder Johannes Agnoli formuliert wurde, ist angesichts der weit verbreiteten Staats- und Parlamentarismusillusionen notwendig. Dabei wird sich zeigen, daß es sich dabei nicht nur um ,,theoretisch richtige" Kritik handelt, sondern daß ein Ende der Illusionen auch Möglichkeiten der Praxis jenseits von Staat und Parteien eröffnet.
Vortrag und Diskussion mit Felix Klopotek (Köln), der regelmäßig in Konkret, Jungle World und vielen anderen Zeitschriften schreibt.