Kleiner Häuserkampf
von Stephan Günther
Nach Jahren der Stille wurden in Freiburg wieder Häuser besetzt
und Straßen belagert. Die Stadt reagiert reichlich unsensibel
Wenn das Jahr hält, was die ersten
sechs Wochen versprechen, dann
dürfte Freiburg 2004 ein Déjà-vu
mit den 70er und 80er Jahren
erleben: Hausbesetzungen, Räumungen, wilde Auseinandersetzungen im und um den Gemeinderat, Demonstrationen, Proteste
und Großeinsätze der Polizei
bestimmten das Straßenbild und
die Schlagzeilen.
Nach den gescheiterten Verhandlungen um die Initiative
"DreiFünfViertel", die auf dem
Vauban-Gelände einige alte
Kasernengebäude zu Wohnungen
umbauen wollte, besetzten Sympathisanten am 10. Januar das
"Haus 053" und forderten die
Wiederaufnahme der Verhandlungen. Am 13. Januar ließ die Stadt
die Besetzer räumen und wenig
später die Häuser abreißen. Es
folgten Demonstrationen, Proteste
und eine kurze Besetzung in der
Basler Straße.
Ende Januar eskalierte ein
weiterer Konflikt. Die Deutsche
Bahn AG kündigte den Mietvertrag mit der Stadt Freiburg über
das frühere Bahnbetriebswerk, in
dem die KTS-Initiative untergebracht ist. Nachdem Oberbürgermeister Dieter Salomon in einem
Gespräch mit Vertretern des Verkehrskonzerns Verständnis für die
Haltung der Bahn
geäußert hatte und
die Kündigung
bestätigte, kam es
am vergangengen
Wochenende zu
spontanen Demonstrationen und Protestveranstaltungen.
Einem nicht angemeldeten Konzert auf dem Augustinerplatz am
Freitag Abend folgte am Samstag
unter anderem eine Demonstration durch die Innenstadt und eine
Blockade des Bahnhofs.
Wieso diese Eskalationen,
nachdem es einige Jahre so
schien, als sei Freiburg befriedet?
Schon schienen die wilden Jahre
Lokalgeschichte zu sein; in trauter
Einigkeit veranstalteten das
"Archiv für Soziale Bewegungen",
die Stadt und die Badische Zeitung nostalgische Abende über die
68er und 70er Jahre. Die größte
Wohnungsnot - und mit ihr der
Anlass für Hausbesetzungen -
schien mit der Bebauung von Rieselfeld und Vauban gelindert. Und
die Forderung nach
einem Autonomen
Zentrum (AZ) hatte
die Stadt nach
zähem Ringen
zunächst auf dem
Vauban-Gelände und
schließlich - seit
1998 - auf einem
alten Bahngelände an der Basler
Straße erfüllt. Oberbürgermeister
Dieter Salomon übernahm also
eine Stadt, in der die großen Konflikte um Wohn- und Freiräume
der Vergangenheit anzugehören
schienen.
Dass es nun wieder - in freilich bescheidenem Maße - zu
Häuserkampf kommen könnte, hat
nicht zuletzt die Stadt selbst zu
verantworten. Obwohl die Räume
in Freiburg seit einiger Zeit wieder
knapp werden, reagierten Salomon und vor allem Baubürgermeister Mathias Schmelas auf die
neue Situation ausgesprochen
destruktiv. Die "DreiFünfViertel"-
Initiative ließ die Stadt an nicht
eingehaltenen Fristen scheitern -
es ging letztlich um eine Verschiebung des Finanzierungsnachweises um ein halbes Jahr. Damit
nahm sich die Stadtverwaltung
nicht zuletzt selbst die Chance,
sehr günstig Wohnraum für Einkommensschwache zu schaffen,
der dringend benötigt wird. Denn
inzwischen stellte Werner Hein,
stellvertretender Leiter des Amtes
für Liegenschaften und Wohnungswesen, fest: "Die Versorgungslage mit preiswerten Wohnungen ist dramatisch schlecht."
Die vorhandenen, erst vor wenigen Jahren mit Millionenaufwand
renovierten Häuser auf dem Vauban-Galände aber werden die
Wohnungsnot nicht mehr lindern
können: Die Stadt ließ sie gleich
nach der Räumung durch Bagger
unbewohnbar machen.
Auch die Kündigung der KTS-
Räume basiert auf wenigen, sehr
formalen Gründen: Der Weg vor
dem Gebäude, so die Bahn AG, sei
zuweilen nicht passierbar, weil
KTS-Besucher ihre Autos widerrechtlich dort parkten. Außerdem
blockierten Fahrräder ein Tor, das
die Eisenbahner auf dem Weg zu
ihrem Arbeitsplatz zu passieren
haben. Schließlich störten die
KTSler immer mal wieder den
Betriebsablauf der Bahn. Worin
diese Störungen bestehen, das
wollten die Bahn-Verantwortlichen freilich nicht sagen. Jedenfalls wäre dem Problem sehr einfach und pragmatisch zu begegnen - mit einer Schranke an der
Hauszufahrt, die Falschparkern
den Weg zur KTS versperren
würde, und mit neuen Zäunen
zum benachbarten Bahngebäude
und zu den Gleisen, die jede
Gefahr und Störung unterbinden
würden. Die Initiative selbst
hatte der Bahn diese und ähnliche
Angebote unterbreitet, ohne dass
etwas passiert ist. Trotz dieser
Ausgangslage stellte Salomon in
einem Brief an die KTS klar: "Die
von der Deutschen Bahn vorgetragenen Gründe für eine fristlose
Kündigung sind aus unserer Sicht
nachvollziehbar und verständlich." Da liegen dem Oberbürgermeister offenbar Informationen
vor, die er und die Bahn nicht an
die Öffentlichkeit geben wollen.
Will der Konzern die Immobilie
vielleicht verkaufen? Oder passt
das alternative Kulturzentrum
nicht in die Vermarktung des
neuen Gewerbe- und Bürogeländes in unmittelbarer Nachbarschaft an der Basler Straße?
Was auch immer die Hintergründe für die Kündigung sind,
sie ist seit letzter Woche beschlossene Sache. Inzwischen haben
Bahn AG und Stadt vereinbart, die
KTS-Initiative zwar vorübergehend in ihren Räumen zu dulden,
ihr aber öffentliche Veranstaltungen bis auf weiteres zu untersagen. Salomon hat dem mit seinem
Brief an die Organisatoren Nachdruck verliehen: "Jede weitere
Störung durch die KTS-Initiative
wird dazu führen", so der Oberbürgermeister, "dass die Bahn AG
auf der Grundlage der fristlosen
Kündigung ein Räumungsverfahren durchführen wird."
Eine ausgesprochen provokante Drohung, denn worin läge
der Sinn eines kulturellen Zentrums, wenn nicht in der Organisation und Durchführung "öffentlicher Veranstaltungen", also von
Diskussionsrunden, Vorträgen,
Konzerten und Partys? Die Reaktion der Kultur-Initiative war
denn auch absehbar: Wenn die
Veranstaltungen im eigenen nicht
erlaubt sind, dann gehen wir eben
in den öffentlichen Raum.
Falls sich Bahn, Stadt und KTS
nicht einigen, wird es vermutlich
häufiger zu spontanen Konzerten
in der Innenstadt oder zu Protesten und Blockaden des Bahnhofs
oder anderer Orte kommen. Denn
die Initiative hat ihre Forderung
deutlich formuliert: "KTS bleibt -
so wie sie ist!" Das ist nicht nur
klar, sondern auch richtig:
Schließlich könnte das Autonome
Zentrum günstiger nicht liegen -
keine direkten Nachbarn, die der
Lärm stören könnte, keine
angrenzenden Straßen und dennoch zentral gelegen.
Möglicherweise führen die
angekündigten Gespräche zwischen Stadt und KTS doch noch
zu einer Lösung. Jedenfalls
schlägt Salomon ein Gespräch vor
und hat sich in die Baslerstraße
eingeladen, um die "Situation vor
Ort" kennen zu lernen. Sollte aber
die Bahn nicht von ihrer Entscheidung abrücken, wird er nicht viel
anzubieten haben. Denn: "Ein
Ersatzstandort für das autonome
Kultur- und Jugendzentrum steht
derzeit nicht zur Verfügung."
Nicht mehr, bleibt hinzuzufügen, denn die Kasernengebäude
auf dem Vauban-Gelände wären
durchaus geeignet gewesen - hätte
die Stadt sie nicht gerade abreißen
lassen.